Impuls von P. Hans Hütter, Redemptorist
Viele Anlässe zu streiten
Es
gibt viele Anlässe zu streiten. Manchen Menschen scheint die Lust zu
streiten in die Wiege gelegt zu sein. Auseinandersetzungen, Diskussionen
bis hin zum Streiten gehören in einigen gesellschaftlichen Bereichen,
etwa in der Politik oder in der Wissenschaft, zum Alltagsgeschäft. Die
Heftigkeit, mit der manche religiöse Gruppen, die sich dem Frieden, der
Gerechtigkeit und Wahrheit verpflichtet wissen, streiten, verwundert
jedoch. Die einen berufen sich auf ihre Wissenschaft, andere setzen auf
den Hausverstand und nicht zuletzt fühlen sich manche kirchliche
Amtspersonen im Besitz der Wahrheit und versuchen, diese durchzusetzen.
Dabei geht es meist um die Auslegung von Geboten und Gesetzen, was
erlaubt und was Sünde sei. Fast immer sind diese Auseinandersetzungen
auch mit Machtansprüchen verbunden.
Jede Religion hat
Fundamentalisten, die unerbittlich für ihre Wahrheit kämpfen. Im Namen
der Religion kam es immer wieder zu Streitigkeiten, ja sogar zu Kriegen.
In der Geschichte haben diese Chaos und Spaltung über die Bevölkerung
gebracht wie etwa der 30-jährige Krieg oder auch die Kreuzzüge.
Auch Christen streiten
Dabei
tröstet es wenig, dass es offenbar auch bereits in den ersten
Jahrzehnten des Christentums Meinungsverschiedenheiten und zum Teil
heftige Auseinandersetzungen gegeben hat. Solange Jesus mit den Jüngern
umhergezogen ist, hat er sie in die Schranken gewiesen, wenn sie sich
z.B. nicht einig waren, wer von ihnen der Größte im Reich Gottes sein
werde oder wessen Sünde für Unglücksfälle verantwortlich sei.
Die Regelung für den Umgang mit Verfehlungen und Konflikten, die wir
heute im Evangelium vorgestellt bekommen haben, ist in mehrfacher
Hinsicht bemerkenswert. Sie gilt vor allem für den Umgang mit
persönlichen Konflikten, die durch schuldhafte Vergehen oder durch
sündhaftes Verhalten eines Mitchristen ausgelöst worden sind. Aus ihr
kann man aber auch Folgerungen für den Umgang mit Konflikten und
Meinungsverschiedenheiten zwischen Gruppierungen ziehen.
Mir
fällt auf, wie sehr diese Regel um Diskretion bemüht ist. Das Vergehen
des Mitchristen soll nicht an die große Glocke gehängt werden. Zuerst
soll man miteinander reden. Erst wenn das nichts nützt, soll man die
Angelegenheit im kleinen Kreis behandeln. Damit soll wohl sichergestellt
werden, dass nicht jede Kleinigkeit aufgebauscht oder im
Gemeindetratsch breitgetreten wird. Wenn auch im kleinen Kreis keine
Lösung gefunden wird, soll die Gemeinde, d. h. die kirchliche
Öffentlichkeit, damit befasst werden. Als allerletztes Mittel – als
"ultima ratio" – soll erst der Abbruch der Beziehung und der Ausschluss
aus der Gemeinschaft veranlasst werden.
Für heute können wir
daraus schließen: Es soll nicht gleich alles über die Medien verhandelt
und zu einem Politikum hochstilisiert werden. Ein diskreter Umgang mit
Konflikten und persönlichem Versagen darf nicht gleich mit Vertuschung
gleichgesetzt werden, solange damit nicht staatliche Gesetze verletzt
werden.
Lösungskompetenz für alle
Beachtenswert ist, dass an dieser Stelle die Zusage wiederholt wird: "Alles,
was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein,
und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel
gelöst sein."
Diesen Satz haben wir noch im Ohr von der
Übergabe der Schlüssel des Himmelreiches an Petrus, den Jesus zum Fels
und zu Kirchenfundament erklärt hat. Hier wird den einfachen
Gemeindegliedern Lösungskompetenz zugesprochen. Alles, was wir im
Kleinen und Verborgenen an Konflikten regeln können, hat auch vor Gott
Geltung. Sünden, die wir im Diskreten einander vergeben und nachsehen,
sind auch bei Gott vergeben. Nicht für alles, was wir im Kleinen regeln
können, brauchen wir den Segen des Pfarrers oder des Bischofs. Und wir
sollten gut überlegen, in welchen Fragen wir an die Kirchenleitung in
Rom appellieren.
Diese uralte Gemeinderegel könnte manchen Druck
und manche Aufregung aus unserem Alltagsleben als Christen nehmen. Es
braucht nicht immer eine große Öffentlichkeit. Es braucht nicht immer
große Gesten und die Zustimmung der Kirchenleitung…
Vor diesem
Hintergrund ist auch die lange geübte Praxis der Kirche, verhältnismäßig
kleine Dinge zur schweren Sünde zu erklären, die nur durch eine
kirchenamtliche Lossprechung bereinigt werden kann, zu überdenken und
den Einzelnen Kompetenz im Umgang mit Fehlern und
Auffassungsunterschieden zuzutrauen. Nicht für jede Sünde braucht es
eine sakramentale Vergebung.
Die Buß- und Beichtpraxis hat sich
in den letzten Jahrzehnten weitgehend wie von selbst geändert. Das
Sakrament der Versöhnung wird nur mehr selten in Anspruch genommen. Die
Sorge, dass dabei "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden ist", ist
meines Erachtens durchaus berechtigt. Was uns fehlt: eine neue Praxis
des einander Vergebens, entsprechende Zeichen und private Riten. Diese
müssen erst gefunden, eingeübt und gepflegt werden.
Es segne Euch der Vater
mit seiner Sehnsucht des Lebens für alle. Amen!
Es segne Euch der Sohn
mit seiner Kraft verzeihender Liebe. Amen!
Es segne Euch der Heilige Geist
mit seinem Atem, der neu macht. Amen!
Und der Segen des allmächtigen Gottes,
des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
erfülle euch für diese Woche
und für euer ganzes Leben. Amen.
© Christus Epheta, Homberg (Efze) - Christkönig, Borken (Hessen)