23. Sonntag im Jahreskreis - 10. September

Gedanken zum Sonntag
Segen

Impuls von P. Hans Hütter, Redemptorist


Viele Anlässe zu streiten

Es gibt viele Anlässe zu streiten. Manchen Menschen scheint die Lust zu streiten in die Wiege gelegt zu sein. Auseinandersetzungen, Diskussionen bis hin zum Streiten gehören in einigen gesellschaftlichen Bereichen, etwa in der Politik oder in der Wissenschaft, zum Alltagsgeschäft. Die Heftigkeit, mit der manche religiöse Gruppen, die sich dem Frieden, der Gerechtigkeit und Wahrheit verpflichtet wissen, streiten, verwundert jedoch. Die einen berufen sich auf ihre Wissenschaft, andere setzen auf den Hausverstand und nicht zuletzt fühlen sich manche kirchliche Amtspersonen im Besitz der Wahrheit und versuchen, diese durchzusetzen. Dabei geht es meist um die Auslegung von Geboten und Gesetzen, was erlaubt und was Sünde sei. Fast immer sind diese Auseinandersetzungen auch mit Machtansprüchen verbunden.

Jede Religion hat Fundamentalisten, die unerbittlich für ihre Wahrheit kämpfen. Im Namen der Religion kam es immer wieder zu Streitigkeiten, ja sogar zu Kriegen. In der Geschichte haben diese Chaos und Spaltung über die Bevölkerung gebracht wie etwa der 30-jährige Krieg oder auch die Kreuzzüge.

Auch Christen streiten

Dabei tröstet es wenig, dass es offenbar auch bereits in den ersten Jahrzehnten des Christentums Meinungsverschiedenheiten und zum Teil heftige Auseinandersetzungen gegeben hat. Solange Jesus mit den Jüngern umhergezogen ist, hat er sie in die Schranken gewiesen, wenn sie sich z.B. nicht einig waren, wer von ihnen der Größte im Reich Gottes sein werde oder wessen Sünde für Unglücksfälle verantwortlich sei.

Die Regelung für den Umgang mit Verfehlungen und Konflikten, die wir heute im Evangelium vorgestellt bekommen haben, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie gilt vor allem für den Umgang mit persönlichen Konflikten, die durch schuldhafte Vergehen oder durch sündhaftes Verhalten eines Mitchristen ausgelöst worden sind. Aus ihr kann man aber auch Folgerungen für den Umgang mit Konflikten und Meinungsverschiedenheiten zwischen Gruppierungen ziehen.

Mir fällt auf, wie sehr diese Regel um Diskretion bemüht ist. Das Vergehen des Mitchristen soll nicht an die große Glocke gehängt werden. Zuerst soll man miteinander reden. Erst wenn das nichts nützt, soll man die Angelegenheit im kleinen Kreis behandeln. Damit soll wohl sichergestellt werden, dass nicht jede Kleinigkeit aufgebauscht oder im Gemeindetratsch breitgetreten wird. Wenn auch im kleinen Kreis keine Lösung gefunden wird, soll die Gemeinde, d. h. die kirchliche Öffentlichkeit, damit befasst werden. Als allerletztes Mittel – als "ultima ratio" – soll erst der Abbruch der Beziehung und der Ausschluss aus der Gemeinschaft veranlasst werden.

Für heute können wir daraus schließen: Es soll nicht gleich alles über die Medien verhandelt und zu einem Politikum hochstilisiert werden. Ein diskreter Umgang mit Konflikten und persönlichem Versagen darf nicht gleich mit Vertuschung gleichgesetzt werden, solange damit nicht staatliche Gesetze verletzt werden.

Lösungskompetenz für alle

Beachtenswert ist, dass an dieser Stelle die Zusage wiederholt wird: "Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein."
Diesen Satz haben wir noch im Ohr von der Übergabe der Schlüssel des Himmelreiches an Petrus, den Jesus zum Fels und zu Kirchenfundament erklärt hat. Hier wird den einfachen Gemeindegliedern Lösungskompetenz zugesprochen. Alles, was wir im Kleinen und Verborgenen an Konflikten regeln können, hat auch vor Gott Geltung. Sünden, die wir im Diskreten einander vergeben und nachsehen, sind auch bei Gott vergeben. Nicht für alles, was wir im Kleinen regeln können, brauchen wir den Segen des Pfarrers oder des Bischofs. Und wir sollten gut überlegen, in welchen Fragen wir an die Kirchenleitung in Rom appellieren.

Diese uralte Gemeinderegel könnte manchen Druck und manche Aufregung aus unserem Alltagsleben als Christen nehmen. Es braucht nicht immer eine große Öffentlichkeit. Es braucht nicht immer große Gesten und die Zustimmung der Kirchenleitung…

Vor diesem Hintergrund ist auch die lange geübte Praxis der Kirche, verhältnismäßig kleine Dinge zur schweren Sünde zu erklären, die nur durch eine kirchenamtliche Lossprechung bereinigt werden kann, zu überdenken und den Einzelnen Kompetenz im Umgang mit Fehlern und Auffassungsunterschieden zuzutrauen. Nicht für jede Sünde braucht es eine sakramentale Vergebung.

Die Buß- und Beichtpraxis hat sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend wie von selbst geändert. Das Sakrament der Versöhnung wird nur mehr selten in Anspruch genommen. Die Sorge, dass dabei "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden ist", ist meines Erachtens durchaus berechtigt. Was uns fehlt: eine neue Praxis des einander Vergebens, entsprechende Zeichen und private Riten. Diese müssen erst gefunden, eingeübt und gepflegt werden.



Es segne Euch der Vater
mit seiner Sehnsucht des Lebens für alle. Amen!

Es segne Euch der Sohn
mit seiner Kraft verzeihender Liebe. Amen!

Es segne Euch der Heilige Geist
mit seinem Atem, der neu macht. Amen!

Und der Segen des allmächtigen Gottes,
des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
erfülle euch für diese Woche
und für euer ganzes Leben. Amen.